GA-Serie "Bonn macht erfinderisch" - Folge 4 Mehr als Nullen und Einsen

Bonn · Die IT-Branche stellt den größten Anteil aller Start-ups in Deutschland. Vier Jungunternehmer aus Bonn sehen auch die Region auf einem guten Weg, erkennen aber dennoch viel Nachholbedarf.

Auf dem Mars spazieren, im Ozean mit Walen und Haien tauchen, ohne nass zu werden, oder in wenigen Sekunden zu den schönsten Urlaubszielen reisen: Was in der Realität wohl unerreicht bleiben wird, ist in virtueller Hinsicht bereits Wirklichkeit. Einen großen Anteil daran hat das in Bonn gegründete Start-up World of VR, das durch eine Kombination aus Pappbrillen und Smartphone-Apps „neue Welten erschafft“, wie dessen Gründer Timon Vielhaber sagt. „Wir wollen Virtual Reality für möglichst viele Menschen zugänglich machen“, so der 37-Jährige, der neun Jahre bei der Telekom arbeitete.

Die Funktionsweise der Brille ist schnell erklärt: Das Smartphone kommt in eine Halterung. Dann setzt man die Brille auf und schaut durch die Öffnung. Dabei erlebt man dank zweier eingebauter Linsen den Immersionseffekt, also das „Mittendrin-Gefühl“, wie Vielhaber den Moment beschreibt, wenn man in die 3D-Welt auf dem Smartphone eintaucht. Teilweise sei es schon zu abstrusen Situationen gekommen. „Einige Menschen haben sich erschrocken und sind zurückgewichen, wenn etwa ein Hai auf sie zugeschwommen kam.“

Mit der Entwicklung der kostengünstigen Virtual-Reality-Brille hat er bereits Ende 2012 begonnen. Im Frühjahr 2015 verließ er die Telekom und ging mit einem Team von fünf Leuten nach Köln, weil „dort die Infrastruktur für IT-Start-ups einfach besser war und es mehr Coworking Spaces gab“, so der 37-Jährige. Seine Brille habe er dann auf verschiedenen Messen wie der Cebit vorgestellt und die ersten Kunden generiert, zu denen heute auch die Telekom gehört.

Generell sehe er ein enormes Potenzial für ein weiteres Wachstum seines Unternehmens. „Während der Smartphone-Markt allmählich am Ende seiner Möglichkeiten angekommen ist, ist der Bereich Virtual Reality eine grüne Wiese.“

Bonn könne dabei durchaus eine gute Rolle einnehmen, wobei Vielhaber sich eine Zusammenarbeit mit dem größeren Nachbarn am Rhein wünscht. „Köln und Bonn sehe ich als Achse, die ein Pendant zu Berlin darstellt und den Vorteil hat, dass die Wege nach Brüssel, Frankfurt und Paris – also zu großen internationalen Kunden – nicht weit sind“, so Vielhaber. Seinen ehemaligen Arbeitgeber nimmt er diesbezüglich in die Pflicht: „Die Telekom könnte noch mehr für die IT-Start-up-Szene in Bonn tun, aber so langsam richtet sie sich aus, wenn auch ein wenig behäbig.“

Laut dem Deutschen Start-up- Monitor macht die IT-Branche unter allen Start-ups in Deutschland den größten Anteil aus. In einer 2015 veröffentlichen Umfrage mussten sich die Jungunternehmen 18 möglichen Geschäftsmodellen zuordnen. Die meisten der befragten Start-ups stammen demnach aus dem Bereich „Software as a Service“ (15,3 Prozent), gefolgt von den beiden Segmenten e-Commerce (10,1 Prozent) und IT/Softwareentwicklung (8,6 Prozent). Damit ordneten sich mehr als ein Drittel aller Teilnehmer der IT-Branche zu, was ihre große Bedeutung für die aktuelle Start-up-Bewegung in Deutschland zeigt.

Wie Vielhaber glaubt auch André Christ, dass Bonn gute Chancen habe, IT-Stadt zu werden. Seit 2012 existiert sein Start-up LeanIX, das international agierenden Konzernen wie Adidas, DHL und RWE eine Software als Cloud-Variante zur Verfügung stellt, um ihre digitale Transformation zu unterstützen.

„Was Planer für Städte machen, machen wir für IT-Landschaften“, sagt der 34-jährige Bonner, der in Münster Wirtschaftsinformatik studierte, freiberuflich bei Firmen des Unternehmers Frank Thelen arbeitete und anschließend vier Jahre lang in der IT-Managementberatung der DHL tätig war. Heute sitzt er in einem neuen Büro an der Fürstenstraße in der Bonner Innenstadt.

Sein Start-up zählt mittlerweile rund 20 Mitarbeiter und braucht mehr Platz, um weiter wachsen zu können. Und das soll noch lange nicht alles gewesen sein. „Wir wollen Marktführer in unserem Bereich werden, unser Ziel ist es, dass unser Produkt weltweit zum Standard wird“, so Christ.

Dafür müsse er mit seinem Unternehmen keinesfalls in die Hauptstadt ziehen. „Ich werde oft gefragt: Warum geht ihr nicht nach Berlin? Und natürlich sitzen da die meisten Start-ups aus dem IT-Bereich, ich finde aber, dass Bonn eine attraktive Stadt ist, in der man sehr gute Mitarbeiter finden kann und in der international gearbeitet wird“, zählt Christ die Vorzüge am Rhein auf. Städte wie Berlin, Hamburg oder München hätten zum Beispiel den Nachteil, dass es dort viele erfolgreiche Start-ups gebe, die einem Mitarbeiter abwerben.

Trotzdem habe Bonn noch einigen Nachholbedarf, was die Wahrnehmung von Start-ups betrifft. „Viele Studenten aus dem IT-Bereich bewerben sich in der Regel bei größeren Konzernen wie der Telekom oder DHL. Die wissen teilweise gar nicht, dass es uns als Arbeitgeber gibt“, sagt Christ. Deshalb will er sich mit seinem Start-up in Zukunft vermehrt auf Fach- und Berufsmessen zeigen und in die Hochschulen gehen.

Wie lange noch bis zum Abflug?

Eine Strategie, die Erfolg verspricht: Denn Hochschulen und Universitäten scheinen jene Orte zu sein, an denen besonders viele Ideen für den IT-Bereich entstehen. So war es auch bei Pedro José Marrón und seinen Kollegen von „Locoslab“, die heute Smartcity-Apps entwickeln. Aktuell bauen sie eine App für die Stadt Duisburg, die Touristen und Bürger möglichst zuverlässig über Veranstaltungen informieren soll. Parallel arbeiten Marrón und Co. für die Lufthansa. Die App „MyTimeToFlight“ soll deren Kunden mittels einer Uhr auf dem Smartphone-Bildschirm anzeigen, wie lange sie noch Zeit haben, um ihren Flieger zu erwischen.

Dabei werden sämtliche Komponenten wie die Wartezeit am Schalter oder im Sicherheitsbereich, Verspätungen von Flugzeugen sowie die Verkehrssituation mit eingerechnet. Eigentlich liegen die Kompetenzen des 42-Jährigen Bad Godesbergers und seines Teams jedoch woanders. „Wir würden gerne Indoor-Apps anbieten, aber es ist einfacher, Sachen auf dem Markt zu verkaufen, die die Leute kennen“, so Marrón. Er hoffe deshalb, dass sich die Menschen in Zukunft neuen Technologien aus dem IT-Bereich öffnen. Viele seien sich diesbezüglich noch sehr unsicher.

Um zumindest einen Aspekt jener Verunsicherung zu bekämpfen, haben vier Bonner Studenten den „Cryptomator“ entwickelt – eine leicht zu bedienende Verschlüsselungssoftware zum Schutz privater Daten. „Viele Nutzer haben Angst um ihre Daten, wenn sie Cloud-Dienste verwenden“, weiß Mitgründer Christian Schmickler.

Hoffnung für den Standort Bonn

„Mit unserer Software verschlüsseln wir Informationen, bevor sie in die Cloud geladen werden.“ Seit Anfang 2016 besteht das Start-up, das bereits einen Cebit-Innovationspreis gewonnen hat und sich derzeit für einen Einsatz in Unternehmen fit macht.

Trotz bester Chancen auf ein weiteres Wachstum denken die vier Gründer derzeit nicht über eine Verlagerung ihres Geschäftssitzes in eine größere Stadt nach. Zwar sei Bonn für seine Start-up-Szene im IT-Bereich „bisher nicht unbedingt bekannt“, so Schmickler, doch gebe es immer mehr Initiativen wie den geplanten Digital Hub, die Hoffnung machten, dass sich in Zukunft etwas daran ändern könnte.

Am kommenden Samstag, 3. Dezember, geht um die Hürden der Bürokratie. Welche Regeln müssen Unternehmensgründer beachten, bei wem müssen sie sich anmelden und wo lauern Gefahren?

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