GA-Serie "Bonn macht erfinderisch" - Auftakt Auf den Spuren der Gründer

BONN · Start-ups gehören in die Metropolen – nach New York, ins kalifornische Silicon Valley oder nach Berlin. Junge, aufstrebende Gründer mit der einen genialen Idee. Aber wo sitzen die nächsten Marc Zuckerbergs und Steve Jobs in Bonn und der Region? Eine Spurensuche im Alltag

Bonn gilt nicht eben als das El Dorado für Gründer. San Francisco, Berlin, Hamburg oder London lauten die Hotspots der hippen Start-up-Szene. Sie gilt als jung, innovativ und extrem dynamisch. Und Bonn? Bürokratisch. Traditionsbewusst. Die ehemalige Hauptstadt am Rhein hat den Ruf einer Beamtenstadt, Großkonzerne wie Post und Telekom bestimmen das Bild. Doch wer genauer hinsieht, entdeckt die Jungtriebe eines neuen Gründergeistes, und die ein oder andere Idee hat sich bereits im tagtäglichen Gebrauch etabliert. Die Volontäre des GA gehen auf Spurensuche:

Die Suche beginnt mit einem Blick auf die Wettervorhersage

7.30 Uhr an einem wolkenverhangenen Montagmorgen. GA-Volontär Andreas Dyck beginnt seinen Tag mit dem Blick auf die Wetter-App und den Regenradar: Wie kalt wird es heute? Ist ein Regenschirm oder die Sonnenbrille angesagt? Das Wetter bestimmt nicht nur die Wahl unserer Kleidung oder den Termin für die nächste Grillparty. Auch private Firmen nutzen Wettervorhersagen, wie Energieerzeuger oder Versicherer.

Genau wie Dyck vertrauen mehr als zehn Millionen Nutzer laut einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) auf den Wetterbericht aus Bonn. WetterOnline ist einer der drei größten Wetteranbieter in Deutschland. Seinen Firmensitz hat das Unternehmen im Hafen von Graurheindorf. Gemächlich ziehen die Binnenschiffe an dem dunkel schimmernden Gebäude vorbei. Wie Bauklötzchen stapeln sich die einzelnen Etagen der Firmenzentrale aufeinander. Photovoltaikplatten an der Fassade nutzen die Nachmittagssonne zur Stromerzeugung. Der Himmel ist wolkenlos. „Das wird auch die nächsten Stunden so bleiben“, sagt Matthias Habel, Diplom-Geograph und Unternehmenssprecher von WetterOnline, mit einem Blick auf das Wetterradar. Und der Mann ist Wetterexperte. Rund 80 Mitarbeiter versorgen die Nutzer mit aktuellen Wetterinfos.

Am Anfang steht die Idee

Vor 20 Jahren kannte man Wettervorhersagen nur aus dem Fernsehen, dem Radio oder der Tageszeitung. Viel zu unspezifisch oder schlichtweg überholt. Wieso nicht die Wettervorhersage spontan und aktuell abrufen können? Das dachte sich WetterOnline-Gründer Joachim Klaßen und gründete mit einem Kommilitonen das Jungunternehmen. Das damals neue Medium Internet bot die Lösung für die Geschäftsidee. Aber ohne die Uni Bonn gäbe es das Start-up heute nicht: Zu der Zeit war das Internet nämlich vorwiegend ein universitäres Netzwerk. Der erste Server von WetterOnline stand daher im meteorologischen Institut in Bonn-Endenich – dort, wo Klaßen promovierte. Keine Seltenheit, denn viele Start-ups entstehen aus dem Studium heraus. „WetterOnline war lange ein recht kleines Unternehmen. Oft hat man gemeinsam zu Mittag gegessen“, erinnert sich Habel. Er selbst hat als studentischer Mitarbeiter angefangen und ist geblieben. Das war 2000. Fünf Mitarbeiter zählte das junge Start-up damals erst. „Früher waren viele von uns Generalisten, heute sind wir Spezialisten“, fasst Habel die Entwicklung zusammen. Für ihre Prognosen greifen die Meteorologen um Klaßen auf die Daten weltweiter Wettermodelle zurück und machen aus den globalen Werten lokale Vorhersagen.

Neben den Wetterprognosen erstellt das Team redaktionelle Inhalte, wie den Deutschlandbericht oder den 14-Tage-Trend, und schickt Wetterreporter los, die von Wetterbrennpunkten berichten. Seit den 2000er-Jahren verzeichnete das junge Unternehmen ein kontinuierliches Wachstum. Aber nicht alles lief fehlerfrei. Vor allem bei großen Wetterereignissen, wie Wintereinbrüchen oder Unwettern, brach die Seite aufgrund der vielen Zugriffe zusammen. Ärgerlich für Nutzer und Betreiber. Zu solchen Ausfällen kommt es heute nicht mehr. Stattdessen runden eine Mitgliedschaft, eine mobile Version, mehrere Wetter-Apps und neuerdings auch ein Wetterbericht per Facebook- oder WhatsApp-Messenger das Angebot ab. Heute ist das familiäre Unternehmen ein Stück weit anonymer geworden, in Abteilungen organisiert. Seit 2016 haben sie auch einen Personalleiter – der letzte Schritt zur Professionalisierung. Die Begeisterung ist hingegen unverändert: „Wir lieben Wetter, wir sind Wetterfreaks. Die am Fenster stehen, wenn es schneit. Wenn es gewittert“, sagt Habel.

Das Auslandsstudium bringt die Geschäftsidee

Pünktlich zur Mittagspause um 13 Uhr geht die Spurensuche nach dem Gründergeist weg vom Graurheindorfer Hafen im Kühlregal der Supermärkte weiter. GA-Volontärin Sabrina Bauer sucht hier nach dem Bonner Smoothie, der deutschlandweit zu finden ist. Die Theke ist mittlerweile reich gefüllt mit bunten Flaschen. Gemüse-Smoothies. Früchte-Smoothies. „Shampoothie – für blondes Haar“ steht auf einer der Glasflaschen mit gelben Inhalt. „Wo ein Vanille ist, ist auch ein Weg“. Und der Weg führt in die alte Tapetenfabrik nach Beuel. Kreatives Zentrum von true fruits, dem ersten Anbieter von Smoothies in Deutschland. Gegründet von den drei BWL-Studenten Inga Koster, Marco Knauf und Nicolas Lecloux. Die Idee und die Begeisterung für die puren Säfte brachten Koster und Knauf von einem Auslandssemester in Schottland mit. Dort waren die Smoothies bereits Teil eines jeden Supermarktsortiments – 2005 in Deutschland jedoch gänzlich unbekannt.

An der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg starten sie ihre Idee als interdisziplinäres Uni-Projekt. „Herstellung und Vertrieb eines neuartigen Ganzfruchtsaftgetränks (Smoothies) in Deutschland“ lautet der sperrige Arbeitstitel – verglichen mit den Sprüchen, die heute ihre Produkte zieren. Ihr erstes Smoothierezept präsentieren sie auf einer Gründermesse im Januar 2006. Noch fehlen ihnen allerdings ein professioneller Abfüller, Investoren und Kunden. Doch ihre Suche durch ganz Deutschland ist von Rückschlägen und Absagen gezeichnet – im Schnitt erhalten sie auf zehn Anfragen nur eine Antwort oder gar eine Zusage. In junge Unternehmen möchte zu der Zeit kaum ein Investor Geld stecken. Zwei Investoren wagen den Schritt. Mit zusätzlichen Gründerkrediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) haben Koster, Knauf und Lecloux ihr finales Startkapital zusammen.

Im Familienunternehmen Streker Natursäfte, in der Nähe von Stuttgart, finden die Gründer schließlich einen Abfüller. „Das Klirren der Flaschen“, erinnert sich Nicolas Lecloux an den Moment, als die ersten Flaschen durch die Produktionshalle liefen. Die Gründer sind umgeben vom Rattern der Maschinen. Nach einer Viertelstunde ist die erste Marge fertig und die drei Gründer halten eine ihrer fertigen Flaschen in den Händen: „Wow, dachte ich, das passiert alles nur, weil du es willst“.

Ein steiniger Weg zum Erfolg

Vor fast genau zehn Jahren, am 9. November 2006, verkauft true fruits die erste Flasche. Ihr erstes Büro mit zwei Räumen beziehen sie in der Beueler Tapetenfabrik – einem Ort mit „Kiez-Charme“, wie Lecloux es nennt. Genau dort, wo sie sich zum ersten Mal mit ihrem Investor getroffen haben. „Am Anfang haben wir jeden Euro umgedreht“, sagt der Gründer. Die Büroeinrichtung bestand aus alten Möbeln, die nicht zusammenpassten. „Es hatte eher Ehrenfeld-WG-Style“, erinnert sich Fee Surges, Pressesprecherin des Unternehmens. Heute tüftelt das 25-köpfige Team plus Bürohund nur wenige Meter entfernt in einem Großraumbüro an neuen Rezepten und neuen Sprüchen. Und der heutige Einrichtungsstil? So wie man sich ein Start-up vorstellt: Leere true-fruits-Flaschen hängen als Lampenschirme von der Decke. In der Ecke steht ein Kühlschrank mit den Produkten. „Massenfruchthaltung“ warnt ein Schild. An der Wand hängen bunte Porträts der Firmengründer à la Warhol – ein Geschenk zum 10-jährigen Firmenjubiläum.

Aber auch Koster, Knauf und Lecloux erleben Misserfolge: Während die grünen Smoothies aus Früchten und Gemüse zum Bestseller werden, stellt sich bei ihren frischgepressten Säften und den gefriergetrockneten Obstchips kein Verkaufserfolg ein. Aus dem anfänglichen Jahresumsatz von 40 000 Euro sind 29,5 Millionen Euro im vergangenen Jahr geworden. „Wir haben true fruits nicht als Unternehmer, sondern als Konsument gestartet. Diese naive und untypische Art hat uns erfolgreich gemacht“, sagt Lecloux rückblickend.

16 Uhr: Für das kommende Weihnachtsfest darf die Garderobe ruhig etwas eleganter ausfallen. GA-Volontär Joshua Bung schaut sich dafür beim Herrenausstatter Von Floerke in der Bonner Innenstadt um. Von Fliegen zum Selberbinden, über Socken bis hin zu Anstecktüchern und Hemden reicht das Sortiment von David Schirrmacher. Das Mode-Start-up gründete der Jungunternehmer 2014 mit dem Label „A Gentlemen's Ones“. Mit der Erweiterung des Angebots startete er Von Floerke. Bekanntheit erlangte die Modemarke mit dem Auftritt in der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“, in der Schirrmacher um die Gunst der Investoren kämpfte.

19 Uhr: Die Erkundung der Start-up-Szene macht hungrig. Ein Restaurantbesuch, der Gang zum Foodtruck oder die Order per Lieferdienst wären jetzt eine Option. Die GA-Volontäre Britta Röös und Fabian Vögtle wollen allerdings selber ein Abendessen zaubern. Und dafür greifen sie nicht zum Kochbuch, sondern zum Tablet.Von Nürnberger Lebkuchen über schwäbische Maultaschen bis hin zur spanischen Paella reicht die Rezeptsammlung von Chefkoch.de. Laut AGOF-Studie ebenfalls eine der meistbesuchten Webseiten in Deutschland. Auch dahinter verbirgt sich ein Start-up aus der Region. Nur ein paar Rheinkilometer flussaufwärts, in der vierten Etage des Gebäudekomplexes „Rheinwerk 3“ am Bonner Bogen, dreht sich alles ums Kochen.

Ein Beispielprojekt wird zum Erfolgsrezept

Eine massive Theke in Holzoptik mit dem Chefkoch-Logo empfängt den Besucher. Ein langer Gang zieht sich komplett durch das Stockwerk. Hinter dem grasgrünen Besuchersofa sind grüne und rote Fäden entlang der Wand gespannt. Daran baumeln Kurzporträts der Mitarbeiter: „Was ich gerne esse“. „Was ich am liebsten koche“. An der Wand hängt ein gerahmtes Plakat. „Wir liefern das Rezept für gemeinsame Momente des Glücks“.

Die beiden Türen zu den Konferenzräumen tragen in verschnörkelter Schrift die Namen „Sinzig“ und „Bad Neuenahr“ – die Ursprungsorte des Unternehmens. Dort gründeten Alexander Meis, Martin Sarosiek und Martin Wojtaszek 1998 die pixelhouse media services. Als Vorzeigeobjekt suchten die drei „Chefköche“ nach passenden Inhalten, um eine Beispieldatenbank zu bestücken. Sie entschieden sich ausgerechnet für Rezepte – die Zutaten für eine Erfolgsgeschichte. Die Webseite Chefkoch.de wird so erfolgreich, dass der Verlag Gruner + Jahr mit Sitz in Hamburg 2011 alleiniger Eigentümer wird. Die Gründer sind nicht mehr dabei, doch der Firmenstandort bleibt in der Region und wandert von Bad Neuenahr nach Lannesdorf und schließlich 2015 an den Bonner Bogen.

Pro Monat gehen etwa 3000 Rezepte im Chefkochnetzwerk ein. Bevor diese online erscheinen, werden sie von den Mitarbeitern auf Plausibilität und eventuelle Tippfehler geprüft. Zusätzlich versorgen sie die Nutzer mit Vorschlägen für passende Rezeptbilder. „Aber wir bevormunden nicht. Uns geht es um Authentizität“, sagt Geschäftsführer Martin Meister. Die inzwischen rund 110 Mitarbeiter spüren die neuesten Kochtrends auf, stellen saisonale Rezepte zusammen und moderieren die Beiträge im Chefkoch-Forum. Zum einen gibt es Veranstaltungen im eigenen Kochstudio am Bonner Bogen, zum anderen bietet das Team digitale Kochkurse. „Das Wichtigste ist, dass wir die Leute zum Essen bringen. Gemeinsames Essen macht glücklich. Eigentlich ist sofort gute Stimmung, wenn die Schüssel auf dem Tisch steht“, sagt Meister. WetterOnline, true fruits, Von Floerke und Chefkoch.de ist als Bonner Start-ups der Sprung in die Geschäftswelt gelungen. Welche Ideen es in Zukunft dorthin schaffen werden – die Volontäre sind ihnen auf der Spur.

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