Interview mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft „Bundesministerien in Bonn sind unerlässlich“

Bonn · Am Montag jährt sich der Beschluss des deutschen Bundestages, den Sitz des Bundestages zu verlegen, zum 25. Mal. Es wird zum Teil nicht eingehalten, zum Teil in Frage gestellt. Ein Rückblick auf die Wochen der Entscheidung 1991 und ein Interview mit NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft.

Fünfundzwanzig Jahre nach dem Berlin/Bonn-Beschluss spielt die Region Bonn nach Ansicht der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) „international in der ersten Liga“. Angesichts der Berliner Beratungen über die Zukunft der Bundesstadt hält Kraft „eine dauerhafte Präsenz von Bundesministerien in Bonn“ für „unerlässlich“. Das sagte sie in einem Interview des General-Anzeigers. Die Fragen stellte Ulrich Lüke.

Frau Kraft, hat sich das Berlin/Bonn-Gesetz von 1994, das nach dem Umzugsbeschluss vom 20. Juni 1991 vom Bundestag beschlossen wurde, bewährt?

Hannelore Kraft: Ja. Das Berlin/Bonn-Gesetz wurde in einer für die ganze Bundesrepublik besonderen historischen Phase verabschiedet. Ich erinnere mich noch sehr gut an die großen Sorgen, die damals in der ganzen Region herrschten, dass Bonn mit dem Hauptstadtumzug quasi dem Niedergang geweiht sei. Und schauen Sie sich heute um: Die Region wächst und zieht jede Menge junge, bestens ausgebildete Menschen an. Ja, Bonn ist anders geworden. Aber nicht weniger wichtig.

Tatsache ist, dass gegen die Bestimmung, nach der die überwiegende Zahl der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn bleiben soll, permanent verstoßen wird. Ist das Gesetz also zumindest in diesem zentralen Punkt das Papier nicht wert, auf dem es steht?

Kraft: In diesem Punkt passt die Realität nicht mehr zu 100 Prozent zu den Buchstaben des Gesetzes, das ist richtig. Entgegen der Vorgabe des Berlin/Bonn-Gesetzes sind inzwischen rund 64 Prozent aller Stellen der Bundesministerien in Berlin. Dennoch ist Ihre Wertung zu hart, denn es gibt weit mehr Aspekte als die Stellenzahl allein. Ein Vierteljahrhundert nach dem Beschluss und 17 Jahre nach dem Teilumzug gen Berlin haben nach wie vor sechs Bundesministerien ihren ersten Dienstsitz in Bonn: die Bundesministerien für Verteidigung, Landwirtschaft, Gesundheit, Umwelt, Bildung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bundesrechnungshof, Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur, weitere Bundesbehörden haben ihren Sitz hier am Rhein – die Liste ließe sich lange fortsetzen. Dies alles stützt und stärkt die Region dauerhaft.

Braucht man eine Neuregelung? Wenn ja, muss Bonn nach Ihrer Meinung Erstsitze von Ministerien behalten?

Kraft: Die Beauftragte der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich, Ministerin Barbara Hendricks, hat angekündigt, mit Beteiligten auf Kommunal- und Landesebene das Gespräch zum weiteren Umgang mit der Aufteilung der Aufgaben auf Bonn und Berlin zu führen. Dazu sind wir bereit. Erst muss allerdings der sogenannte „Statusbericht“ vorliegen, der noch in diesem Jahr kommen soll. Klar ist und bleibt: Bereits im Vorfeld etwaiger Gespräche mit Ministerin Hendricks wird die Landesregierung weiterhin für eine enge Abstimmung mit der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler sorgen. Bereits im vergangenen November hat der zuständige Minister und Chef der Staatskanzlei, Franz-Josef Lersch-Mense, ein erstes Koordinierungsgespräch mit dem Bonner Oberbürgermeister, den beiden Landräten Rhein-Sieg und Ahrweiler sowie dem rheinland-pfälzischen Chef der Staatskanzlei Clemens Hoch geführt. Die nächste Gesprächsrunde in diesem Kreis ist Ende Juni in Bonn geplant. Und wir haben mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz Ende Januar unsere gemeinsame Haltung noch einmal festgelegt. Wir handeln im engen Schulterschluss beim Bonn-Berlin-Gesetz.

Wo verläuft für die Landesregierung die „rote Linie“ beim Thema Präsenz des Bundes in Bonn?

Kraft: Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich bislang stets einmütig zum Berlin/Bonn-Gesetz bekannt. Mit Blick auf die Gespräche mit dem Bund halten wir als Landesregierung diese bisherige fraktionsübergreifende politische Gemeinsamkeit im Landtag für unerlässlich. Dies ist auch bei den aktuell noch laufenden Beratungen eines gemeinsamen Antrags von SPD, Grünen, CDU und FDP notwendig. Ich appelliere an die CDU, den gemeinsamen Weg nicht zu verlassen. Alles andere würde den Interessen der Region massiv schaden. Die Landesregierung hat sich uneingeschränkt zum Bonn-Berlin-Gesetz bekannt. Und Ministerin Hendricks hat angekündigt: „Wir stehen zum Berlin/Bonn-Gesetz. Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum.“ Wir verstehen das als Signal zum Dialog auf der Basis der Berliner Koalitionsvereinbarung. Das impliziert auch, dass eine dauerhafte Präsenz von Bundesministerien in Bonn unerlässlich ist.

Ist die Region in der Diskussion um Berlin und Bonn ausreichend gut aufgestellt? Hat sie eine Perspektive für ihre Zukunft?

Kraft: Bonn ist ein starker internationaler Standort und eine Wissensregion, die in Zukunftsbranchen sehr gut aufgestellt ist. Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass Berlin das bundespolitische Schwergewicht ist. Aber mit seinen bedeutenden UN-Organisationen und dem klaren Fokus auf Eine-Welt-Politik, Klimaschutz und Nachhaltigkeit und einer innovativen Wissenschafts- und Forschungslandschaft spielt die Region Bonn international in der ersten Liga. Auch wirtschaftlich ist Bonn stark und Heimat von drei Dax-Konzernen.

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